Keoladeo-Nationalpark – Indiens Nationalparks
Ob die Maharadschas von Bharatpur auf Elefanten dort zur Entenjagd einritten, ist nicht überliefert. Der Park südlich der fürstlichen Residenz war zu ihrer Zeit unbestritten das Eldorado für Jäger. Heute ist ein Paradies für eine immense Zahl von Vogelarten mit dem klangvollen Namen »Keoladeo-Nationalpark« daraus geworden. Während seiner Entstehung ahnte niemand, dass vier Fahrtstunden entfernt von Neu-Delhi einer der bedeutendsten Brutplätze der Erde liegen würde.
Um 1760 beschloss Maharadscha Suraj Mal, die regelmäßigen Überschwemmungen seines Herrschaftssitzes in der Monsunzeit zu beenden. Der Ajan-Damm wurde errichtet. In der durch den Erdaushub geformten Senke sammelte sich das Wasser, auf Anweisung des Maharadschas leiteten die Ingenieure zusätzlich die Flüsse Gambhir und Banganga um. Rings um das Wasserreservoir entstand das einzigartige Ökosystem, das heute unter mehreren Namen bekannt ist. Zum allgemein gebräuchlichen verwenden Bewohner der indischen Provinz Rajasthan und Reiseführer ebenfalls »Keoladeo Ghana National Park«. Die Bezeichnung geht auf den Baumbestand zurück, wobei „Ghana“ für „dicht“ steht. Mitten in der Anlage findet man einen von der Zeit gezeichneten Hindutempel, geweiht dem Gott Shiva. Von ihm rührt der an manchen Stellen verzeichnete Name »Keoladev«.
Das durch Menschenhand entstandene Ökosystem mit den seichten Wasserlandschaften zog in kurzer Zeit viele Arten von Vögeln an. Bald darauf nutzten es die Herrscher von Bharatpur als Jagdrevier. Bevorzugt erlegten sie von Anfang an Enten und andere Wasservögel.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich das 29 qkm umfassende Areal zu einem beliebten Ort für die Vogeljagd. Im Jahr 1902 weihte der britische Vizekönig Lord Curzon das Gebiet als offizielles Entenjagdareal ein. Die traurige Bilanz der folgenden Jahre wurde in Abschusslisten festgehalten, wenn indische und britische Jagdgesellschaften unzählige Vögel abschossen. Einen der Höhepunkte stellt der 12. November 1938 dar, für den während der Jagdparty von Lord Linlithgow als Beute über 4.000 verschieden Vögel verzeichnet wurden.
Obwohl die Regierung Keoladeo Ghana 1956 in ein Vogelschutzgebiet umwandelte, behielt der Maharadscha von Bharatpur bis 1965 das Recht, dort mit Gästen zu jagen.
Im Jahr 1981 war der Zaun komplett um den Park errichtet. Ihm wurde der Status „Nationalpark“ zuteil. Die UNESCO erklärte die einzigartige Landschaft 1985 zum Weltkulturerbe.
Den Park durchstreift der Besucher zu Fuß, per Fahrrad oder bequem in einer Fahrrad-Rikscha. Bei ausreichendem Wasserstand besteht die Möglichkeit, mit Booten unter der Führung einheimischer Guides auf Entdeckungstour zu gehen.
Strenge aber sinnvolle Regeln sorgen für Ordnung und Erhaltung. Weder dürfen Besucher die Tiere füttern, noch ist das Rauchen gestattet. Müllabladen ist ebenfalls verboten.
Wie viele von den verzeichneten Tierarten im Keoladeo Nationalpark angetroffen werden, hängt von der Jahreszeit ab.
Als ideale Besuchszeit gilt für den Mitteleuropäer November bis Februar. Im Winter zieht es Tiere in großer Zahl aus kälteren Regionen dorthin. Die Ausbeute der zu entdeckenden Populationen ist um vieles umfangreicher als zu anderen Zeiten. Nicht nur durch die Wintergäste ist Keoladeo zu einem der wichtigsten Brutplätze der Welt geworden. Die wärmere Saison, in der über 45°C Lufttemperatur gemessen wird, bietet mit sinkenden Wasserständen und teilweise ausgetrockneten Kanälen eine weitaus weniger interessante Reisezeit. Extreme Luftfeuchtigkeit tut ein Übriges.
Durch die ständig wachsende Zahl an Störchen, Reihern, Kormoranen und Kranichen, finden zunehmend Raubvögel den Weg in den Nationalpark, um auf Jagd zu gehen. Insgesamt verzeichnen die Unterlagen mehr als 360 verschiedene Vogelarten.
Keoladeo bietet nicht allein für gefiederte Tiere ideale Bedingungen. Viele Säuger und Wasserbewohner sind hier heimisch. Der Besucher kann Stachelschweine und Wildkatzen beobachten, Schakale und Fischotter. Letztere profitieren von dem Reichtum an Fischen, von denen in Regenzeiten über 40 Arten in den Gewässern leben. Die Schätzung des Gesamtfischbestandes beläuft sich auf ca. 65 Millionen Tiere.
Ebenfalls im Nationalpark zuhause sind Amphibien und Reptilien, wie verschiedene Schildkrötenarten und Schlangen. Zu den beliebten Objekten für Kameras gehören Vipern, Cobras und Pythons.
Die reichhaltige Fauna ergänzt eine üppige Flora. Über 370 Pflanzenarten und knapp 100 Wasser- und Sumpfpflanzen können bestaunt werden.
Der Keoladeo-Nationalpark ist einer der berühmtesten und am häufigsten besuchten in Indien. Eine Reise für eine Besichtigung über einen oder mehrere Tage lohnt auf jeden Fall. Wer in der Nähe weilt, sollte diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.